In einem meiner vorherigen Pfosten habe ich gesagt, dass einige Aphorismen, die ich auf den einschlägigen Aggregationsseiten gefunden habe, für mich ziemlich arm wirken. Zudem denke ich, dass Aphorismen und ein paar eigene Gedanken dazu ein guter Weg sind, den der Faden nehmen kann. Ich will daher ein paar Beispiele liefern:
>Man sollte nur produzieren und bauen dürfen, was brauchbar ist.
(© Monika Minder)Wo ist denn da der Aphorismus? Das ist entweder BWL-Björn auf Steroiden, oder eine Aussage nahe an der Tautologie, wenn man ästhetische/künstlerische Brauchbarkeit mit einbezieht. Überhaupt ist Brauchbarkeit eine so schwammige Eigenschaft, dass dieser Satz keine praktische Anwendung hat. Nun muss ein Aphorismus das vielleicht nicht, aber wenn ich Leitlinien für produzierendes Gewerbe beschreiben will, dann wäre etwas Anwendbarkeit vielleicht nicht verkehrt. Wenn man dagegen bestimmten Dingen jegliche Art der Brauchbarkeit per Definition abspricht, müssen wir dann auch wieder entartete Kunst verbieten? Egal, wie ich diesen Satz in meinem Kopf drehe: Da kommt nichts Gescheites bei raus.
>Kultur war gestern, heute ist Schick und Kitsch. Auch Zivilisation genannt.
(© M.B. Hermann)Früher war alles besser™. Die Gesellschaft ist schlecht, und die da oben haben keine Ahnung. So, Broisen wiederhergesteld!!1 Aber ernsthaft: Die Kultur von früher ist bereits durch den Filter der Zeit gegangen, und es ist nur noch das übrig, was überdauert hat. Als ob es früher nicht im Verhältnis genauso viel Müll gegeben hätte. Durch die höhere Vernetzung heutzutage erfährt der Müll vielleicht mehr Verbreitung, aber es entstehen auch mehr Perlen dadurch, man muss sie halt finden. wenn man das nicht kann, ist das die eigene Schuld, nicht die des "heute". Leute, die solche Sätze raushauen, erzählen einem dann in 20 Jahren dasselbe über die jetzige Zeit.
Die oberen beiden Autoren sind mir unbekannt und offenbar zeitgenössisch. Ich habe es nicht geprüft, aber es haftet ihnen der Geruch der Trivialität an, so als ob der Admin der Seite seine Verwandten bewerben wollte und ihre Kacksprüche aus der Bridge-Runde mit reingenommen hat. Um mir nicht vorwerfen lassen zu müssen, dass ich nur Fallobst buxxe, will ich mich auch an einem erprobten historischen Mittelgewicht abarbeiten:
>Enthaltsamkeit rächt sich immer. Bei dem einen erzeugt sie Wimmerln, beim andern Sexualgesetze.
(Karl Kraus 1874-1936, österreichischer Aphoristiker, Lyriker, Schriftsteller)Sag das mal Drogenabhängigen. Oder Spitzensportlern. Oder Shaolin-Mönchen. Wie bereits erwähnt habe ich bei Aphorismen nicht den Anspruch der universellen Gültigkeit, aber wenn man dem Lümmel so weit raushängen lässt und sagt "rächt sich immer Punkt", dann muss man damit leben, dass der Bilderbrettkritiker 2 Gegenbeispiele sucht und deinen Spruch mit dem Prädikat "Kann wek" versieht. Selbst unter der großzügigen Annahme, dass die Abwesenheit von Enthaltsamkeit nicht zwangsläufig der Exzess ist, sehe ich weder einen formalen noch einen inhaltlichen Grund, die eigene Formulierung mit diesem Absolutheitsanspruch zu schwächen und angreifbar zu machen. Vielleicht hat dem Krauskopp auch nur jemand seinen wöchentlichen Puffbesuch und seine 5 Bier am Abend schlechtreden wollen, und er sah sich unter Rechtfertigungsdruck, wer weiß? Besser wäre meiner Meinung nach gewesen:
>Enthaltsamkeit widerstrebt der menschlichen Natur. Bei dem einen erzeugt sie Wimmerln, beim andern Sexualgesetze.
Damit formuliere ich keinen Anspruch, der selbst unter den Augen eines Laien nicht haltbar ist, und mit "widerstrebt der menschlichen Natur" lasse ich die Tür zudem offen für die Anerkennung derer, welche dennoch Enthaltsamkeit in bestimmten Bereichen leben, und dadurch vielleicht in anderen Bereichen brillante Ergebnisse erzielen.
So, genug gerul0rt. die hatte ich alle von hier falls jemand recherchieren will, und ich habe nur das erste Drittel der Frontseite durchsucht:
https://gedichte-zitate.com/zitate-aphorismus.html