>>2801Für diesen Ernst hat die alltägliche Pendelei mit der Bahn was Meditatives. Ernst kann eine ganze Zugfahrt lang aus dem Fenster starren und über Gott und die Welt nachdenken, ohne sich dabei auf die Umgebung zu konzentrieren. Es ist schön zu sehen, wie Kilometer für Kilometer die Welt an einem vorbeizieht, gefüllt mit Leben, deren einziger Kontakt mit Ernst der tägliche Blick vom Zugfenster ist. Zudem sitzt Ernst lieber am Fenster statt am Gang, weil es dann nicht passieren kann, dass jemand, der am Fenster sitzt, vor ihm aussteigen will und ihn mit unsicherer, rauer Stimme aus seiner Trance reißt. Ernst denkt dabei an die verschiedensten Dinge: Manchmal schwelgt er in Tagträumen über Frauen, bei denen er nur im Traum Erfolg haben kann, manchmal gestaltet er die nächsten Stunden und Tage vor seinem geistigen Auge, manchmal döst er einfach vor sich hin, und er hat sich auch schon viele Beiträge für Bilderbretter dort ausgedacht - und einige davon auch wieder vergessen, bevor er sie umsetzen konnte ;_;
Auch wenn Ernst nicht so genau darauf achtet, was da am Fenster vorbeizieht, so mag der doch die ländliche Gegend außerhalb der Großstadt lieber. Es ist schön, die Wiesen und die kleinen Wäldchen am Rande der Bahnstrecke vorbeiziehen zu sehen, besonders wenn noch Nebel in der Luft liegt. Die Hochhäuser der Stadt und ihre Neonbeleuchtung haben zwar auch ihren Charme, aber das ist etwas, wo sich Ernst nur als Gast, als Durchreisender, als Fremdkörper fühlt. Dauerhaft bleiben möchte er dort nicht, das hat trotz des elektrisch eingehauchten Lebens etwas Morbides. Nie verstehen wird Ernst die Leute, die während einer Zugfahrt auf ihr Handlich starren. Anstatt endlich mal einen Moment ohne dauerhaften Informationsfluss ins Gehirn zu genießen, rammen sie sich ihre portable Nadel in die Vene - nur niemals den endlosen Strom der Ablenkungen abreißen lassen, denn wer weiß, welche Gedanken von ihm überspült werden.
Was Ernst überhaupt nicht leiden kann, ist wenn er in der Bahn stehen muss, weil alle Sitzplätze belegt sind. Das kommt zum Glück nicht sehr oft vor, aber wenn es vorkommt, negiert es sämtliche positiven Effekte des Bahnfahrens und macht das Ganze zu einer sehr unbefriedigenden Erfahrung. Ernst kann in der Bahn mit allem handeln: Laute Kinder, pöbelnde Idioten, dreckige Waggons, kaputte Klimaanlagen und Verspätungen, aber nicht mit fehlenden Sitzplätzen, da hört der Spaß auf.